Und wo wir schon in der Rummelsburger Bucht sind, das Wasserstraßenamt (WSA) hat den Widerspruch des Senats gegen die Ablehnung des Ankerverbots auf dem Rummelsburger See abgelehnt. Die Kosten für das Verfahren trägt der Senat. Wie der Kollege Robert Klages im Sommer berichtet hatte, wollte die Senatsumweltverwaltung ein Anker- und Nachtfahrverbot durchsetzen und befand sich deswegen im Streit mit der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV). Die von Regine Günther (Grüne) geleitete Senatsverwaltung wollte nicht mehr, dass die Bucht als dauerhafter Wohnort genutzt wird.
Auf dem Rummelsburger See schwammen im Sommer rund 25 Boote. In einigen befinden sich Ateliers. Die Beschwerden von vielen Anwohner*innen richteten sich vor allem gegen das sogenannte „Lummerland“ – ein Zusammenschluss von Booten und Flößen, der sogar eine Sauna beherbergt. Sie vermuteten Drogenkonsum vor Ort, beschwerten sich über Lärm, Müll und Wasserverschmutzung durch Fäkalien. Handfeste Beweise dafür fehlten wohl.
Bereits Ende Februar hatte die Senatsverwaltung einen Antrag für ein Anker- und Nachtfahrverbot eingereicht. Diesen hatte das WSA im Mai abgelehnt. Die Senatsverwaltung hatte daraufhin im Juni Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid eingereicht. Diesen hat das WSA nun erneut abgelehnt. In dem Schreiben der zuständigen Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) heißt es, es gäbe keinen Anspruch auf das Begehren eines Nachtfahrverbotes vor Ort und „einen gebundenen Anspruch auf Ankerverbot, insbesondere durch die Aufstellung von Ankerverbotszeichen nach Maßgabe des Schifffahrtszeichens A 6 der Anlage 7 zur BinSchStrO hat die Widerspruchsführerin nicht.“
„Wir begrüßen, dass die GDWS und das WSA sich unseren Ansichten anschließen“, teilte der Förderkreises Spree:publik nach der Ablehnung mit. Der Förderkreis setzt sich dafür ein, dass „Wasserflächen auch als soziokulturelle Ressource wahrgenommen und als Freiraum für zivilgesellschaftliches Engagement verstanden werden.“ Bereits im August hatte Spree:publik in einer Stellungnahme festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Einführung des geforderten Anlege- und Nachtfahrverbots nicht gegeben sind. Für die Boote und ihre Bewohner dürfte nun Zeit zum Durchatmen und zum Feiern sein. Fürs Erste ist der Fall damit erledigt.
Der Rummelsburger See ist nicht rund. Aber es gibt Runde Tische zum Thema, veranstaltet von der „Interessengemeinschaft Rummelsburger Bucht“ mit zehn Mitgliedern. Laut Eigenauskunft repräsentiert die IG „rund 342 Millionen Euro Grundstückserwerbs-, Planungs- und Investitionskosten“. Die Mitglieder sind überwiegend diejenigen, die an der Rummelsburger Bucht bauen wollen: Die Howoge zum Beispiel, Investa, Coral World. Sprecher der IG ist Ottfried Franke.
Ein Runder Tisch fand im November 2018 statt. Es wurde über Möglichkeiten und Kosten diskutiert, den See zu sanieren. Ein Vertreter der Wasserschutzpolizei (WSP) schilderte die Lage auf dem See. Aus dem Protokoll: „Die Beschwerdelage (bis zu 16 Anzeigen pro Nacht) und die Einsatzerfordernisse sind auf dem kleinen Rummelsburger See ähnlich hoch wie auf dem viel größeren Müggelsee. Die digitale Vernetzung der Nutzer auf dem See und ihr ‚Frühwarnsystem‘ vor der WSP sind ausgezeichnet organisiert. Boote dürfen 1 Tag lang in der Bucht still liegen. Mit jeder auch geringen Bewegung danach verlängert sich diese Frist. Eine Kontrolle solcher dauerhaften Ortsfestigkeit oder geringfügigen Bewegung ist der WSP nicht möglich (Beweislast). Dafür seien (fotografische) Nachweise und Anzeigen nötig. Auch Flüssiggasanlagen werden nicht prophylaktisch kontrolliert. Der WSP gelingt kaum oder gar nicht die Kontrolle der sog. ‚Schwimmseln‘, da die Nutzer dort sowohl die Kommunikation als auch das an-Bord-Gehen verweigern.“ Darüber hatten wir hier im Newsletter bereits berichtet. Canan Bayram, Grünen-Abgeordnete, empfiehlt, mehr finanzielle Mittel für die WSP im Haushalt 2020/21 bereitzustellen. „Eine Unterstützung des Vorschlags durch die jeweiligen Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus wäre wichtig.“
Die Teilnehmer*innen des Rundes Tisches verpflichten sich zur Verschwiegenheit, die Inhalte sind „vertraulich“. Der nächste Runde Tisch findet, erneut organisiert von der IG, am 19. November im Abgeordnetenhaus statt. Der CDU-Abgeordnete Danny Freymark ist Gastgeber. Von der IG nimmt beispielsweise Gabriele Thöne, Projektdirektorin Coral World, teil. Dazu Vertreter*innen der Senatsverwaltung für Umwelt, des Wasserstraßenamtes, der Wasserschutzpolizei, der Senatsverwaltung, der Bezirksämter … außerdem Cansel Kiziltepe, Abgeordnete der SPD, sowie Abgeordnete von Grünen und Linken. Es soll weiter über die Seesanierung gesprochen werden. Und der Frage nachgegangen werden: „Braucht Berlin ein Konzept für Wohnen auf dem Wasser?“ Pressevertreter*innen sind ausdrücklich nicht willkommen.
Außerdem auf der Tagesordnung: „Geordnete Zustände auf dem See, Aktivitäten-Check: Durchsetzen von Regeln, kapazitive Ausstattung der Polizei dafür und Zusammenarbeit mit Ordnungs-, Umwelt- und Naturschutzämtern.“ Eigentlich sollte der Runde Tisch unter der Einladung der Abgeordneten Canan Bayram erfolgen. Doch die Grünen-Politikerin hat wieder abgesagt. Denn sie findet es nicht gut, dass niemand aus den Hausbooten oder von „Spree:publik“ zu den Runden Tischen eingeladen wird. Die Spree:publik versteht sich als Förderkreis von Initiativen, Kollektiven, Vereinen und anderen Aktiven, die sich für die Demokratisierung der Wasser- und angrenzenden Uferflächen Berlins einsetzen.
„Der Dialog um die Zukunft sollte mit allen Betroffenen in der Rummelsburger Bucht erfolgen, d.h. nicht nur mit Behörden und Eigentümern“, sagt Bayram auf Nachfrage. „Daher halte ich es für wichtig, den Charakter der Diskussionsrunde zu klären, bevor ich daran teilnehme. Die Bucht darf kein Ort für Privilegierte und Kommerz werden, vielmehr müssen die Umweltbelange berücksichtigt und alle Menschen bei Planungen einbezogen werden.“
Auch Clara Herrmann, Bezirksstadträtin für Umwelt in Xhain, schlug IG-Sprecher Franke vor, einen Vertreter von Spree:publik einzuladen. In einer internen Mail lehnte Franke ab. Begründung: „Wir möchten das Veranstaltungsformat gegenüber dem Vorjahr nicht verändern und bitten Sie, diesen Verteiler zu respektieren.“ Weiter: „Selbstverständlich werden wir uns keinem Dialog verschließen.“ Franke bietet Gespräche mit Spree:publik an. Auch eine Teilnahme an einem Runden Tisch könne er sich vorstellen – wenn das Bezirksamt Xhain diesen organisieren würde beispielsweise. Herrmann setzt Claudius Schulze, Sprecher von Spree:publik in cc. Den kennen wir schon, er hat auch ein Atelier-Boot in der Bucht.
„Ihr runder Tisch ist nicht rund“, schreibt Schulze in dem E-Mail-Verteiler an Franke gerichtet. „Es drängt sich daher stark der Verdacht auf, dass es sich bei dem von Ihnen initiierten Runden Tisch einzig um eine Lobbyveranstaltung der Investoren des B-Plans Ostkreuz handelt, bei dem es nicht um die konstruktive Lösung bestehender Probleme geht, sondern Stimmung gegen andere Akteure und Nutzer*innen vor Ort gemacht werden soll. Statt Vertreter der Kulturflöße mit einzubeziehen, soll lieber über ‚Müllflöße‘ hergezogen werden.“
Diese Einflussnahme in Hinterzimmern findet Schulze skandalös. „Der Runde Tisch soll vermutlich nur den Interessen Ihrer Auftraggeber Padovicz et.al. dienen. Wir hoffen, dass sich Politiker (als Gastgeber wie Teilnehmer) und Behördenmitarbeiter als Vertreter der Öffentlichkeit von Ihnen nicht für solch ein Unterfangen vor den Karren spannen lassen.“ Franke antwortet, er und Schulze würden sich Donnerstag treffen, um „sich mal in die Köpfe zu gucken“. Die Runden Tische nennt Franke nun nur noch „Fachworkshops“, von denen keinerlei Entscheidungen ausgingen. „Sie bereichern aber Willensbildung und Entscheidungsfindungen. Das ist der Sinn.“
In der Rummelsburger Bucht wird es vorerst kein Ankerverbot geben. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Berlin hat einen entsprechenden Antrag der Senatsverwaltung abgelehnt. Für Hobbykapitäne und Hausbesitzer ist das ein Etappensieg. Von Oliver Noffke
Boote werden auch zukünftig auf dem Rummelsburger See ihren Anker werfen können. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Berlin (WSA) hat einen Verbotsantrag der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz aus verfahrenstechnischen Gründen abgelehnt, wie die Initiative Spreepublik rbb|24 am Freitag mitteilte.
Das WSA ist der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) unterstellt, einer Bundesbehörde, die für sichere und freie Fahrt auf Bundeswasserstraßen zuständig ist. Das WSA prüfte stellvertretend und stellte dabei fest: „Da im vorliegenden Fall eine Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt auf dem Rummelsburger See, welche durch ein Anker- bzw. Nachtfahrverbot hätte beseitigt werden können, nicht besteht, konnte dem Antrag des Landes Berlin nicht stattgegeben werden.“
Anlegeverbot noch nicht vom Tisch
Die Entscheidung, die vom WSA noch nicht öffentlich gemacht wurde, bedeutet einen Etappensieg für Hausbootbewohner und Bootsbesitzer, die in der Rummelsburger Bucht wohnen oder ankern. Ein Anlegeverbot – etwa an den Spundwänden oder Uferbereichen – ist allerdings noch nicht vom Tisch.
In der Rummelsburger Bucht gibt es Spannungen zwischen Bootsbesitzern und einigen landseitigen Bewohnern und Akteuren, wie rbb|24 berichtete. Als Streitpunkte gelten unter anderem Lärm- und Müllprobleme, für die die Senatsverwaltung in ihrem Antrag die Bootsbesitzer verantwortlich gemacht hat. Einige der Hausbootbewohner haben sich zum Förderkreis Spreepublik zusammengeschlossen, um ihre Interessen zu vertreten. Sie weisen die Vorwürfe des Senats als pauschal und ungerechtfertigt zurück.
Lärm und Müll am Wasser, darüber beschweren sich Anwohner am Rummelsburger See. Einiges kommt von den Booten, die teilweise dauerfhaft in der Bucht liegen. Auf dem Wasser – einem kaum regulierten Raum – kann jeder mit einem Boot fahren, anlegen und auch ankern. Künftig wird dies schwieriger werden: Die Bezirke Lichtenberg und Friedrichshain haben Anker- und Anliegeverbote beantragt. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt hat sie genehmigt. Bald werden die ersten Schilder aufgestellt.
Zehn Kubikmeter Abfall wurde innerhalb von drei Stunden aus der Rummelsburger Bucht gefischt und an ihren Ufern gesammelt. Am Sonntag hat die „Spree:publik“ eine Säuberungsaktion veranstaltet (Mehr dazu in der „Kiezkamera“ weiter unten im Newsletter). Finanziert hat die Aktion das Bezirksamt Friedrichshain, in Lichtenberg hat man nicht nach Unterstützung gefragt. Die Spree:publik, ein unkommerzieller Zusammenschluss aus Kreativen und Bootsliebhabern hat vor der eigenen Haustür saubergemacht. Auf den um die 15 Flößen und Booten wird Theater gespielt, Urban Gardening betrieben und werden Konzerte gegeben.
„Wir wollen nicht mit allen in einen Topf geschmissen werden“, sagt Johannes Heereman von der Spree:publik, „einiges von dem Müll stammt zwar von Booten in der Bucht, aber nicht von uns.“ Er wünscht sich mehr Respekt im Umgang miteinander und der Natur. Die Spree:publik erstellt momentan eine Liste mit passenden Standorten für öffentliche Mülleimer, die sie dann dem Bezirksamt weitergeben möchte.
Ein Anleger-, Anker- und möglicherweise Nachtfahrverbot wird nicht nur die schwarzen Schafe treffen, auch die Spree:publik muss dann umdenken. Einige der Boote haben feste Liegeplätze an der Spundwand, aber auch Pachtverträge können gekündigt werden. Wie genau die Verbote aussehen werden, war heute noch nicht zu erfragen. Fahrgastschiffe, Bootsclub und 22-Stunden-Anleger sollen wohl nicht betroffen sein.
An der Rummelsburger Bucht soll ein Aquarium-Hotel-Wohn-Komplex entstehen. Piraten, Besetzer und Zeltbewohner fürchten ihre Verdrängung, Anwohner den Tourismus, Umweltschützer das Gift im Grund. Mit Demos und einer Besetzung kämpfen sie um den letzten großen Freiraum Berlins. Eine Geschichte von Haien und Rapfen
Harry bleibt hier. Auch wenn der Bezirk ihn weghaben will. Das zumindest ist Harrys Plan. Er sitzt in einem Einkaufswagen, den er zum Schaukelstuhl umgebaut hat. Harry ist Schmied, zweckentfremdet Alltagsgegenstände und gibt ihnen eine neue Funktion. Er verwandelt auch Grabsteine in Hocker und Besteck in Garderobenhaken. Harry sitzt inmitten von Metallresten, die er zu Kunst und Möbeln verarbeiten will, dreht sich eine Zigarette und sagt: „Das war der schönste Sommer meines Lebens.“
Harry und seine Werkstatt befinden sich auf dem Deck eines Schiffes am Westufer der Rummelsburger Bucht. Am 15. Oktober wurde es von seinen Nutzern besetzt. „Freibeuter“ nennen die Besetzer das frühere „Jugend-, Sport- und Freizeitschiff“. Harry blickt ins Weite, übers Wasser und zahlreiche Boote. Auf einem steht ein Labrador und reckt seinen Kopf, als würde er Ausschau halten. Ein orange-rotes Boot trägt den Schriftzug „FreiTraum“. Am Ufer stehen Zelte, halb verdeckt von Büschen. Im Wasser davor waschen Zeltbewohner ihre Wäsche. Spaziergänger, Jogger und Fahrradfahrer ziehen vorbei. Hinter den Palisaden des Biergartens Rummels Bucht trinken Menschen Bier und essen Pizza.
Die Rummelsburger Bucht ist ein 400.000 Quadratmeter großer Spielplatz für die Verwirklichung alternativer Lebensformen. Der letzte große Freiraum der Stadt. Doch sein Ende scheint nah. Das Schiff, auf dem Harry sitzt, will das Bezirksamt von Friedrichshain-Kreuzberg verschrotten lassen oder anderweitig loswerden. Am westlichen Ende des Gewässers sollen ein Aquarium, eine Parklandschaft und Wohnungen entstehen. Entwicklungskonzepte sehen Anker- und Motorbootverbote in Teilen der Bucht vor. Im Konzept von Friedrichshain-Kreuzberg heißt es, die Wohnnutzung des Gewässers sei nicht zu dulden. Sie sei ungesund und würde die „Erlebbarkeit des Ufers“ beeinträchtigen.
Nachdem Mitte und Friedrichshain weitestgehend durchkommerzialisiert wurden, bahnt sich die Gentrifizierung nun spreeaufwärts ihren Weg. Die Halbinsel Stralau, die Rummelsburger Bucht und Spree trennt – vor 15 Jahren zum großen Teil wildes Brachland mit graffitibedeckten Ruinen – ist beinahe komplett mit hochpreisigen Wohnhäusern bestückt. Schmale Townhouses und riesige Balkone prägen das Bild. Auf der Inselwurzel Richtung Friedrichshain drehen sich die Kräne für einen 50.000-Quadratmeter-Bürokomplex.
Was den weniger Wohlhabenden bleibt, ist das Wasser – es gibt viele, die auf ihren Booten übernachten – und das Areal, auf dem das Aquarium entstehen soll, es beherbergt mehrere Obdachlosen-Zeltlager.
Benjamin Kahn steht am Ufer nahe der Zeltlager. Das Wasser ist klar, darunter ist Sand zu sehen. Über Kahn wölben sich Bäume, zu seinen Füßen stehen Pflanzen. Geht es nach Kahn, kommt das alles weg. Die Firma des 63-jährigen israelischen Meeresbiologen, Coral World International, hat 7.140 Quadratmeter Fläche zwischen Paul-und-Paula-Ufer, Kynast- und Hauptstraße gekauft. Der Boden ist hochgradig mit Schadstoffen belastet. Der Deal: Kahn bekommt das Grundstück günstiger, dafür muss seine Firma den Boden austauschen. Bis zu welcher Tiefe, das hängt von der Schadstoffbelastung ab, wie günstig das Grundstück dann wird, ebenfalls.
Haie und Rapfen
Kahn rechnet mit Grundstückskosten von 7 bis 10 Millionen Euro. 40 Millionen Euro will seine Firma in das Bauprojekt Coral World Berlin investieren. Etwa ein Drittel der Außenbereiche soll öffentlich zugänglich sein, der Rest für Normalverdienende 20 bis 25 Euro Eintritt kosten. „Es geht nicht um das Geld, es geht um den Ozean“, sagt Benjamin Kahn. Die Menschen sollen in seinem Aquarium in die Meereswelt eintauchen und deren Probleme kennenlernen.
Wenn Benjamin Kahn der Hai in dieser Geschichte ist – er operiert international und ist ein großer Fisch –, dann ist Gijora Padovicz ein Rapfen. Er beschränkt seine Jagd auf Berliner Gewässer. Padovicz ist für rabiate Entmietungsstrategien bekannt. Er investiert ebenfalls am Westufer der Rummelsburger Bucht, plant den Bau von Wohnungen in der Hauptstraße 1. Kita- und Schulplätze, in der Gegend Mangelware, sind auf dem gesamten Areal nicht angedacht.
Die Kette Coral World, die das Aquarium errichten will, betreibt weltweit bereits vier solcher Stätten. In einem von Coral World entwickelten Aquarium in Spanien können Kinder für 50 Euro pro Person vor den Hai-Tanks eine Pyjama-Party feiern. Wer dafür zu alt ist, kann mit Haien schwimmen. Gegner des dann dritten Aquariums in Berlin kritisieren, dass die Tiere dafür aus ihrem natürlichen Umfeld gerissen werden. Der Transport bedeute für sie Stress und häufig den Tod.
„Kein Tier wird aus seinem natürlichen Umfeld herausgerissen, sondern die Tiere werden zoologisch fachkundig behandelt, das kann man wirklich so sagen“, sagt die 60-jährige Geschäftsführerin von Coral World Berlin, Gabriele Thöne. Sie steigt mit Benjamin Kahn und weiteren Kollegen die Treppen zum Wasser hinab und schaut lächelnd zurück, Richtung Land. Die Korallen, die sie dort ausstellen will, werden schon jetzt in Berlin gezüchtet. Haie und andere exotische Fische würden importiert. Zum hautnahen Beobachten sind auch offene Becken geplant. Tierschützer fürchten: Streichelbecken. Anna Maske, die 49-jährige Architektin des Projektes, sagt: „Nur weil man ein offenes Wasserbecken zeigt, sind nicht automatisch alle eingeladen, die Tiere darin anzufassen. Ich würde doch auf einer Wiese auch nicht einfach eine Blume abreißen.“ Die offenen Becken werden laut ihrer Aussage permanent überwacht und sollen nur der Betrachtung dienen. Im Coral World Aquarium USA, auf den Jungferninseln, gibt es sogenannte „Touch Pools“.
Maske arbeitet seit fünf Jahren an dem Projekt. Sie sagt: „Das wäre sehr dumm für Berlin und für die Leute, die dort wohnen, dieses unglaublich tolle Angebot der Mitwirkung am Naturschutz auszuschlagen. Wogegen oder wofür?“
Freiraum statt Freizeitpark
Viele, die glauben, Antworten auf Maskes Frage zu wissen, laufen, tanzen und demonstrieren am 18. Oktober um das umstrittene Areal. Rund 2.000 Menschen sind da, Harry vom Schiff Freibeuter auch. Er schiebt einen selbstgebauten Wagen, am Heck sind Getränkehalter befestigt. „Ich will doch nur arbeiten“, steht auf einem Schild, das aus seinem Wagen ragt. Um ihn herum tragen Menschen Schilder mit: „Schulen+Bäume statt Touristen+Zäune“, oder „Immobilienhaie ab ins Aquarium“.
Gemeinsam demonstrieren die Bucht-Liebhaber für einen Neuanlauf der Planungen. Sie wollen bezahlbaren Wohnraum, inhabergeführte Läden, den Erhalt von Kulturangeboten und vor allen Dingen eine Grundschule vor Ort. Sie zweifeln daran, dass im Aquarium wirklich Naturschutz betrieben wird und befürchten die Entstehung eines touristischen Freizeitparks.
„Die halbe Million Besucher im Jahr, die willst du da nicht haben. Für die wird das letzte Stückchen Natur weggefetzt und dann gucken sie dich schräg an“, sagt Luan in der Kajüte seines Bootes. Vor dem Fenster wächst das dichte Ufergrün bis ins Wasser. Ein paar Meter weiter bildet die Bucht eine idyllisch überwachsene Lagune. Damit das Bauprojekt nicht abrutscht, soll hier entlang von 150 Metern des noch naturnahen Ufers eine meterhohe Kaimauer in die Erde getrieben werden. Die Fische, die dort schwimmen, wird man aus dieser Höhe kaum mehr sehen können. Haie sind nicht darunter. Aber Rapfen. Bis zu einen Meter lange und neun Kilogramm schwere Raubfische, die von unten durch Schwärme junger Fische schießen und durch die Wasseroberfläche, auf die sie dann zurückklatschen. Die Rummelsburger Bucht ist unter Anglern deutschlandweit bekannt für die robuste Rapfen-Population.
Das letzte Stück naturnahes Ufer soll laut Planung das um die „Freibeuter“ sein. Der Bezirk will das Boot verkaufen oder verschrotten lassen. Das Problem: Es ist an Stahlpfählen festgeschweißt, die in den Buchtgrund getrieben wurden. Niemand weiß, ob es schwimmt.
Durch alten Industrieabfall ist der Seegrund so stark verschmutzt, dass von einem längeren Aufenthalt am und erst recht im Wasser abgeraten wird. 118 Milligramm Schwermetalle pro getrocknetem Kilo Seeboden liegen hier, so eine 2017 erschienene FU-Studie, dazu viele Schadstoffe auf Kohlenstoffbasis.
Die Pfähle auszureißen, an denen die „Freibeuter“ festgemacht ist, würde die Umwelt massiv belasten. Die schwarze Schlacke würde vom Grund aufwirbeln und das Wasser und die Luft so vergiften, dass sich dort lange niemand mehr aufhalten sollte. Gleiches gilt – wohl vermehrt – für den Bau der Kaimauer vorm Aquarium. Dazu ist unter Umständen das Grundwasser in Gefahr. Es beginnt hier in ungefähr 2,5 Metern Tiefe. Der Komplex um das Aquarium soll auf Pfählen ruhen, die bis zu 30 Meter durch den unabsehbar tief vergifteten Boden getrieben werden. Die Schadstoffkonzentrationen seien „beträchtlich“, so die Aquariums-Macher. Laut Umwelt-Senatsverwaltung könne eine Gefährdung des Grundwassers ausgeschlossen werden, wenn „die lokalen geologischen und hydrogeologischen Gegebenheiten berücksichtigt werden.“
Gefährliche Altlasten
Der Boden der Bucht vor dem Baugrund wird im Moment relativ wenig aufgewühlt. Organisches Material setzt sich auf dem Gift ab. Vom Verzehr der zahlreichen Fische, die hier leben, wird vom Fischereiamt zumindest nicht abgeraten. Rund 50 Meter südlich der „Freibeuter“ laufen auf drei Testfeldern Versuche, den Giftschlamm abzudecken, mit einer Filterdecke, gefüllt mit Blähton. Den gesamten Seegrund damit auszulegen, würde mehrere Milliarden Euro kosten. Die Rummelsburger Bucht gehört zur Hälfte Lichtenberg, zur anderen Friedrichshain-Kreuzberg, sie liegt im Land Berlin und ist zudem eine Bundeswasserstraße, also Bundesangelegenheit. Keine der Parteien ist bereit, die Sanierung zu zahlen.
Am Bug der besetzten „Freibeuter“ ist ein riesiges, hölzernes Floß festgemacht, das an ein Piratenschiff erinnert. Es nennt sich „Anarche“ und wird von einem Kollektiv betrieben. Es gibt noch weitere Kollektiv-Flöße auf der Bucht. Sie organisieren sich im Verband Spree:publik, der die Besetzer der „Freibeuter“ unterstützt. Gustav, aktiv bei Spree:publik, sagt: „In den letzten zehn Jahren hat sich hier eine starke Gemeinschaft entwickelt. Es gibt eine schwimmende Wagenburg, diverse Hausboote und Flöße die als mobile Freiräume einen Ort für verdrängte Kultur schaffen.“
Drei Tage vor der Demonstration, 15. Oktober, 13 Uhr. Das Bezirksamt ist gekommen, um die „Freibeuter“ zurückzuerobern, zu viert. Den Schlüssel zum Tor, das die Landwelt von den Stegen der „Freibeuter“ trennt, hat der bisherige Besitzer, Anführer einer Genossenschaft in Gründung. Weil er dem Bezirk den Kaufpreis von 225.000 Euro nicht bezahlen kann, trifft er dessen Vertreter vor dem Tor, gibt die Schlüssel ab und geht. Harry bleibt. Hinter dem Zaun. Die Zauntür haben die Besetzer mit einem Fahrradschloss gesichert, die Bezirksvertreter erreichen das Schiff nicht.
Seitdem bemühen sich die Kollektive „Staub zu Glitzer“, das 2017 auch die Volksbühne besetzt hatte, „KulturKombüse“ und „Berlin meets Wroclove“ um den Erhalt des Schiffs. Die Kollektive befinden sich in einer relativ komfortablen Situation. Harry hat mit den Altbesitzern einen Mietvertrag geschlossen, mit angeblich drei Monaten Kündigungsfrist. Ob der Vertrag weiter gültig ist, muss vor Gericht geklärt werden. So lange sind die Kollektive einfach alle bei Harry zu Gast.
18. Oktober, 16.30 Uhr. Die Demonstration gegen den Bebauungsplan endet vor der Max-Taut-Schule. In deren Aula tagt die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg, die über den Plan entscheidet. Die Kämpfer gegen das Bauprojekt haben zwei LKW mit Musikanlagen mitgebracht. Hunderte tanzen zu aggressiver, schneller Musik. Ein Polizeikordon schirmt das Gebäude ab. Lehnt die BVV den Bebauungsplan ab, würde es zu einer Rückabwicklung der Kaufverträge kommen, die Investoren könnten Schadensersatz fordern. Den Bezirkspolitikern sitzt der Senat im Nacken, der Projekte aus der Zuständigkeit der Bezirke entreißen kann.
Ein Konzept solide wie Stahl
Kurz vor dem Regierungswechsel 2016 hatte die alte, rot-schwarze Berliner Regierung den Verkauf des Areals beschlossen. Die Verträge mit den Investoren sind unterschrieben und nur für Senatsmitglieder einsehbar. In der BVV Lichtenberg sind Grüne und AfD gegen den Bebauungsplan, CDU und SPD dafür. Die Linke, die hier stärkste Partei, ist gespalten. Bezirksbürgermeister Michael Grunst sieht die Vorteile: Mit dem Kauf verpflichten sich die Investoren, die verseuchte Erde auszutauschen und die Pflege des teils öffentlichen Parks für die nächsten 20 Jahre zu übernehmen.
Vor der Tür tanzt der Mob, Techno dringt durch die Wände der Aula. Die Bezirkspolitiker sind so viel Interesse an ihrer Sitzung nicht gewohnt. Mehrmals werden sie zu Beginn der Sitzung dazu aufgefordert, sich hinzusetzen. Als es nach zehn Minuten um den Bebauungsplan Ostkreuz geht, wird nichts entschieden. Der Punkt wird vertagt, bis geklärt ist, wo die im Bezirk dringend benötigten Schul- und Kitaplätze entstehen können.
Seit 16 Jahren feilen Lichtenberger Bürger und BVV- Abgeordnete am Bebauungsplan Ostkreuz. Anna Maske, die Architektin des Aquariums, sagt: „Alle wurden gehört. Die Tiere wurden gehört, die Pflanzen wurden gehört . Und jetzt kommt die junge Generation und sagt ,nö‘. Aber sie muss auch ihre Vorgeneration verstehen. Will man ihr vorwerfen, sie habe alles falsch gemacht?“
Irgendwann wird Lichtenberg entscheiden müssen. Dieses Jahr wird es nicht mehr passieren, so Bezirksbürgermeister Grunst. Ähnlich sieht es am gegenüberliegenden Ufer der Rummelsburger Bucht aus. Am 14. November haben die Aktivisten von der Freibeuter ihr Projekt im Haushaltsausschuss von Friedrichshain-Kreuzberg vorgestellt: Sie wollen auf dem Schiff, wie im Nutzungsvertrag mit dem Bezirk bis 2028 vorgesehen, Jugendarbeit machen. Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) sagt: „Ich habe Sympathien für die Idee, das Schiff weiter zu betreiben, aber es braucht ein solides Konzept.“
Harrys Konzept mit der steinernen und stählernen Möbel-Kunst ist sehr solide, aber der Bezirk wird vermutlich Papier bevorzugen. Die Zukunft der Bucht wird mit Stapeln davon entschieden. Bei Bezirken, Land und Bund. Fern von Rapfen und Haien. Aber bis es so weit ist, kann jeder mittwochs auf die „Freibeuter“ kommen, um in der Kulturkombüse bei Kerzenschein und Musik gegen Spende vegan zu essen und Bier zu trinken. Harry wuselt wahrscheinlich auch irgendwo auf dem Schiff herum, wenn er nicht mit seiner Hündin Nerra auf dem großen Küchensofa sitzt und sie streichelt.
Was bedeutet selbstbestimmt Leben? Dieser Frage hat sich Werner Graf, Landesvorsitzender der Grünen in Berlin, gestellt und sich mit unterschiedlichsten Akteru*innen getroffen. Da uns die Liebe zum Wasser eint, natürlich auch mit uns Damit die Freiräume auf dem Wasser erhalten und ausgebaut werden, müssen Uferflächen öffentlich zugänglich bleiben (#mediaspree….) und die Menschen, die das unkommerzielle Leben auf dem Wasser repräsentieren, gefördert und geschützt werden. WIr sind froh, dass die Grünen in Berlin endlich handeln wollen und fordern wie gehabt einen Kulturhafen für Berlin!
Weil in den Städten jede freie Fläche zu Bauland wird, flüchtet eine Gruppe von Freigeistern aufs Wasser. Auf dem Fluss, so sagen sie, kann man sie nicht einfach weggentrifizieren. Ein Besuch bei den neuen Berliner Piraten. Von: Greta Taubert
Eigentlich ist die Rummelsburger Bucht in Berlin ein ziemlich bürgerlicher Naherholungskosmos. Dort, an der Grenze der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg, starten Motorboote mit Ausflugsgruppen ihre Touren auf der Spree, dazwischen kreuzen Stehpaddler und Familien mit Tretbooten. An den Stegen ankern Hausboote, Mietwohnflöße, kleinere Motoryachten, alte Wohnkähne. Aber inmitten dieser gemütlichen Freizeitwelt treibt noch etwas anderes. Etwas Buntes. Etwas, was nach Aufbruch aussieht und von Abenteuern erzählt.
Aus der Ferne sieht man nur seltsame Gebilde aus Holz, Metall und Stoff. Kommt man näher, den Uferweg der Halbinsel Stralau entlang, zeigen sich fünf selbstgebaute, improvisierte Katamarane, Boote, Flöße. Eines ist vollständig aus alten Fenstern gebaut, ein anderes hat einen Schaukelsitz aus einem Einkaufswagen, auf einem hängt ein altes Steuerrad. Schwimmvehikel, selbst zusammengezimmert aus Schrott, Schweiß und Träumen. Ich frage mich: Von wem? Und warum? Und wie kann ich mitfahren?
Es ist niemand an Bord, also besuche ich zuerst einen alten Freund. Sascha wohnt auf einem umgebauten DDR-Pionierschiff an einem Anleger schräg gegenüber der selbstgebauten Flöße. Er holt mich mit einem kleinen Motorboot vom Ufer ab, wir knattern über die Bucht, vorbei an Industrieschiffen, Luxusyachten und einer Gruppe zusammengetäuter Hausboote, die aussieht wie eine Wagenburg – nur eben mit Booten statt Bauwagen. »Jede Woche kommen neue dazu«, brüllt Sascha gegen das Motorengeräusch an. Was sind das für Menschen, die sich selbst ein Boot bauen? Sascha sagt: »Leute, die frei im Kopf sind.« Das klingt nach einer Phrase. Aber während mir der Fahrtwind an den Haaren reißt, der Motor unter der Sitzbank vibriert und die Gischt spritzt, mitten in Berlin; während ich mir vorstelle, wie es wäre, genau hier zu leben, auf dem Wasser, mit der ständigen Bewegung der Wellen unter mir, bekomme ich eine erste Ahnung davon, wie das gemeint sein könnte: frei im Kopf. Die Freiheit, um die es hier geht, reicht allerdings noch weiter.
Wer sich ein Boot baut, bewegt sich vom gesicherten Grund weg auf ein unbekanntes Element. Anders als in Amsterdam oder London gibt es in Berlin bisher nur wenige Menschen, die auf dem Wasser leben. Wie viele es genau in der Rummelsburger Bucht sind, lässt sich schwer sagen. Einige wohnen hier das ganze Jahr auf Booten oder Flößen, andere zeitweise, manche kommen nur für Stunden auf ihre Boote. Sicher ist: Es drängen seit einiger Zeit auch jene Menschen aufs Wasser, die ihre freien Plätze an Land verloren haben; die mit ihren temporären Clubs, Ateliers und anderen Kulturorten nicht mehr in den Bebauungsplan der Stadt passen. Jene also, die von der Gentrifizierung verdrängt werden: aufs Wasser. Doch auch die Nische, die sie hier gefunden haben, ist schon bedroht.
Sascha zeigt auf die Ufer rings um die Bucht, die mit Luxus-apartmenthäusern dicht bebaut sind. Die Bewohner sind über ihre freiheitsliebenden Nachbarn nicht erfreut und haben mittlerweile eigens einen Verein gegründet. Die »Interessengemeinschaft Erholungssee Rummelsburg« trifft sich regelmäßig zum Stammtisch und fordert, dass keine motorisierten Boote mehr durch die Bucht fahren dürfen. Der Zugang zum Wasser müsse beschränkt werden. Man könnte auch sagen: Sie wollen ihre Ruhe. Direkt an der Insel will außerdem ein Architekt bald »Floating Homes« parken – noble, schwimmende Apartments.
Es fehlt noch eine letzte Genehmigung von der Stadt Berlin. Solange die aussteht, gibt es sie noch, die Nische, in der nicht-kommerzielle Projekte wie die »Kulturflöße« existieren. Das sind jene schwimmenden Plattformen des alternativen Lebens, um die ich vorher herumgeschlichen bin. Jetzt gehe ich an Bord.
Auf dem größten der Flöße, genannt »Anarche«, ist heute ein öffentliches Plenum der »Spree:publik« anberaumt. Unter diesem Namen haben sich Gruppen und Einzelpersonen zusammengeschlossen, die gemeinsam die Kulturflöße gebaut haben. Etwa hundert Menschen sind ehrenamtlich an den fünf Flößen beteiligt, um sich für die »Öffnung der Wasser- und Uferflächen Berlins« einzusetzen, wie sie sagen. Sie sind alle unkommerziell, basisdemokratisch und selbstverwaltet organisiert. Die Flöße gehören niemandem und sollen für alle offen sein, die ihr Recht auf Stadt auch als Recht auf Fluss verstehen. So bunt die einzelnen Objekte aussehen, so bunt sind auch die Vorstellungen davon, was Begriffe wie »Kultur« und »öffentliche Teilhabe« meinen. Im Sommer veranstaltet die »Wackelberry« ein Bootskino, die »Panther Ray« fischt Müll aus dem Wasser und veranstaltet Workshops zu den Themen Recycling und Open Source, die »Anarche« will an einer Boots-Demo gegen Kohlekraftwerke teilnehmen. Es gibt Lesungen, Theater, Veranstaltungen für Flüchtlinge. Alle stehen vor derselben Frage: Wohin in Zukunft mit den Flößen? Wenn die Anwohner ihr Motorboot-Verbot durchbekommen, wenn der Luxusfloß-Architekt seine Genehmigung erhält, wenn noch mehr Bootsbesitzer mit Geld auf das Wasser drängen, dann wird es eng in der Bucht.
Beim Plenum ist die Rednerliste lang. Es wird diskutiert, welche anderen Orte als Liegeplätze in Frage kämen, wie man am besten mit den Ämtern der Stadt verhandelt, welche Gesetze und Gesetzeslücken es gibt, wie man die Anwohner ins Boot holt. Es ist ein zähes Ringen. Manche meinen: »Wir müssen mit den Entscheidungsträgern weiterhin kooperieren.« Andere: »Wir sind Piraten – wenn wir etwas wollen, müssen wir es uns nehmen und nicht darauf warten, bis man es uns erlaubt.« Die Nacht senkt sich, die Bierflaschen im Sitzkreis werden leerer. Über den Köpfen leuchtet eine rote Lampe mit einem Anarchie-A, dessen Serifen sich zu einem Anker verlängern.
»Der Fluss ist natürlicherweise ein Ort des Widerstands«, sagt später der Spree:publikaner Thomas Scheele. Während sich an Land Strukturen bald verfestigen, könne man sie am Wasser immer wieder neu aufbauen. Scheele engagiert sich beruflich in der sogenannten Clubcommission, einem Verband in der Berliner Subkultur, um Politik und Verwaltung mit den sogenannten Spontannutzern ins Gespräch zu bringen. Das sind jene lose Gruppen junger Menschen, die in leerstehende Fabriken und Brachen einsteigen, Musikanlagen aufbauen, eine Nacht ordentlich rummeln, Open Airs, Raves und Mini-Festivals veranstalten und wieder verschwinden. Berlin war früher mal voll davon, aber es wird schwieriger – Gentrifizierung. Seit zwei Jahren ist Scheele nun im Kollektiv der »Nuria« dabei. »Auf dem Wasser haben wir es auch mit temporären Nutzungsräumen zu tun«, sagt er. Flöße könnten einfach ihren Standort ändern, bevor sie verdrängt werden, und könnten dadurch nie völlig weggentrifiziert werden. Zumindest solange es legale Liegeplätze gibt. Die Spree:publik hätte gern einen Kulturhafen in Stadtnähe.
Wie läuft das in Städten, die noch stärker vom Wasser geprägt sind als Berlin? Ich fahre nach Hamburg, wo auf der Alster ebenfalls ein Verdrängskampf geführt wird, Kapital versus Kultur. Auf einem Bauplatz auf der Veddel steht Sanne Neumuth, eine junge Frau, blonder Dutt, Rock über Leggings, zwischen zwei rostigen Rohren, die die Schwimmkörper für das Kulturfloß »Schaluppe« sind. »Wenn du dir keinen Sportbootschein, kein eigenes Boot und keinen Liegeplatz leisten kannst, kommst du als Hamburger gar nicht mehr aufs Wasser«, sagt sie. Aber der Wunsch, das Wasser zu nutzen, sei gerade in dieser Stadt sehr ausgeprägt – und das selbstgebaute Floß sei eben eine Manifestation dieses Wunsches.
Der »Verein für mobile Machenschaften« – ein Freundeskreis von etwa dreißig Leuten – hat 20 000 Euro via Crowdfunding eingesammelt. Damit wird jetzt wird ein offenes Kulturfloß gebaut, mit dem man Hamburg aus neuer Perspektive erfahren kann. Das Floß soll alle Genehmigungen und Scheine haben, die es in Hamburger Gewässern braucht: Dort, wo Containerschiffe die Fahrrinne kreuzen und die Wellen hochschlagen, würde man mit einem improvisierten Schrottfloß schnell untergehen. Im Team der »Schaluppe« sind Nautiker, Schiffbauingenieure, Tischler, Bootsbauer, Kulturwissenschaftlerinnen, Erlebnispädagoginnen und auch Geflüchtete. Sie schlafen wenig und bauen an dem Floß, das noch in diesem Jahr seine Jungfernfahrt erleben soll. »Wir verwirklichen hier unseren Traum – und den von allen anderen gleich mit«, sagt Neumuth.
Auf einigen alternativen Festivals, die im Sommer an deutschen Seen stattgefunden haben, gab es Floßbauworkshops. In Leipzig baut ein junger Designer ein Kulturfloß, um darauf schwimmende Ausstellungen zu veranstalten. Die Künstlergruppe »Geheimagentur« bereitet einen »Hafen für Interventionistische Seefahrt« in Hamburg vor und vernetzt sich mit anderen Künstlern weltweit, die sich dem »Radical Seafaring« verschrieben haben – der radikalen Seefahrt. Es scheint, als würde sich der Kampf um die städtischen Freiräume, der früher in stillgelegten Industriehallen geführt wurde, gerade auf das Wasser ausweiten. So unterschiedlich die Freibeuter und ihre Aktionen sind, sie alle eint eine gemeinsame Idee: »Reclaim the Water«.
Die Autorin Greta Taubert und der Fotograf Ériver Hijano waren beeindruckt davon, wie lässig die Piraten an Bord gehen: Sie springen einfach von den Ufermauern auf die schaukelnden Flöße. Mittlerweile haben sich beide getraut: Wenn ihnen jemand die Hand reicht, springen sie auch selbst.
Ein Raubtier, das Müll und Unrat frisst: Mit dem Katamaran „Panther Ray“ säubert eine Initiative die Berliner Gewässer. Von Stefan Jacobs
Schwer zu sagen, welcher Platz der coolste ist: Der original Reitsattel für den Kapitän auf dem Oberdeck? Oder daneben der Altreifensessel? Oder doch der an Ketten aufgehängte Einkaufswagenkorb am Bug, dessen Drahtgitter seitlich als Armlehnen herausgebogen sind? Der Platz achtern am Grill ist auch nicht übel. Sieht jedenfalls alles sehr nach einem wahr gewordenen Traum aus.
Das ist die „Panther Ray“ auch, die Anfang 2015 als Vision von acht Leuten um die dreißig entstanden ist. Sie kannten sich aus dem Studium und hatten die Idee, ein Floß zu bauen, das nicht nur ihnen etwas nützt, sondern auch der Allgemeinheit. Nachhaltig sollte es sein und möglichst öffentlich. „Wir wollten die Berliner Gewässer nicht nur der Industrie und den Ausflugsdampfern überlassen“, erzählt Nadja Berseck, die von Anfang an dabei war. Sie hatten mehr psychologischen als handwerklichen Sachverstand in der Runde, aber das war wider Erwarten kein Nachteil.
Denn statt endloser Debatten hatten sie bald ein strukturiertes Konzept: Finanzierung per Crowdfunding über Startnext, Materialgewinnung mithilfe von Alba und Ebay-Kleinanzeigen, Montageplatz bei einem Bootsbauer in Oberschöneweide, der auch mal einen Blick auf die Schwimmkörper werfen konnte, damit das Projekt nicht baden geht. Was im Februar noch durch die Köpfe geisterte, schwamm im Juli 2015 bereits auf der Spree. Eine schwimmende Holzhütte mit Terrasse ohne Reling, mit überdachter Sitzecke, Küchenzeile und vertikalem Gärtchen steuerbord und eben dem Kapitänssessel samt Fernsteuerung für den Außenbordmotor auf dem Dach. Davor ein Solarpaneel, auf dem man auch sitzen kann. Und achtern, gegenüber dem Grill, steht ein Klohäuschen mit echter Herzchentür und einer ökologisch korrekten Komposttoilette. Die Seile, mit denen das Floß vertäut ist, haben ihr früheres Leben in einem Kletterpark verbracht.
Mehrmals in der Woche sind sie unterwegs
Aus Fischperspektive ist die „Panther Ray“ ein Katamaran, zwischen dessen beiden Kufen die Besatzung unterwegs ein am Bug angebrachtes Drahtgitter herunterklappt, das Unrat von der Wasseroberfläche fängt. Flaschen, Tüten, Äste; einmal auch eine tote Ratte. Außerdem haben sie Kescher an Bord, mit denen sie Dreck vom Rand einsammeln können, wenn ihnen danach ist oder Aktionstage wie die „Gemeinsame Sache“ anstehen. Am 10. September werden sie gemeinsam mit vielen anderen Initiativen in Berlin dafür sorgen, dass die Stadt sauberer und schöner wird.
Am Wochenende davor sind sie bereits mit Tauchern vom Naturschutzbund Nabu verabredet, um Müll vom Grund des Urbanhafens zu bergen, den sie dann entsorgen. Bei anderen Gelegenheiten fahren sie mit Flüchtlingskindern und anderen Menschen, die es aus ihrer Sicht verdient haben. Einfach so, aus dem Bedürfnis heraus, der Stadt etwas zu geben, die ihnen selbst viel gibt. Schöner ist das Angenehme wohl selten mit dem Nützlichen verbunden worden.
Mehrmals in der Woche sind sie unterwegs. Mal tuckern sie abends los von ihrem Liegeplatz an der Halbinsel Stralau, wo sie zwischen anderen Eigenbauten am Rummelsburger See festgemacht sind. Dann gibt’s eine Runde Yoga auf der Bucht. Oder es geht Richtung Innenstadt, wo allerdings Spree und Landwehrkanal nur eingeschränkt befahren werden dürfen. Also fahren sie gern in die andere Richtung, am Plänterwald vorbei – und im August zum ersten Mal zum Müggelsee mit Übernachtung an Bord. Endlich haben sie Zeit dafür. Im vergangenen Sommer hatten sie vor allem die Dankeschöns für ihre mehr als 300 Crowdfunding-Unterstützer abzufahren, die ihnen 11 000 Euro und einigen Sachverstand verschafft haben und beispielsweise mit abendlichen Rundfahrten inklusive Sekt belohnt wurden. Hin und wieder lassen sie sich auch für Events buchen, um die laufenden Kosten hereinzubekommen. Sie entscheiden das im Einzelfall; zielorientierte Diskussionen sind sie ja gewohnt.
Bleibt die Frage nach dem Namen
In Nadja Bersecks Augen leuchtet noch die Euphorie des Aufbruchs, wenn sie davon erzählt, während hinter ihr die Abendsonne die Rummelsburger Bucht in warmes Licht taucht. Sie muss lachen, wenn sie an die skeptischen Blicke der Wohneigentümer aus dem gehobenen Segment denkt: So viele junge Leute mit diesem leicht anarchistischen Gefährt – hoffentlich machen die keinen Müll, so ungefähr. Dabei ist ja das Gegenteil der Fall. Inzwischen ist ihre größte Sorge, dass der Vermieter ihres Liegeplatzes die Genehmigungen für seinen lang gehegten Traum von „Floating Homes“ zusammenbekommt und sie vertrieben werden. Denn dauerhafte Ankerplätze, zumal bezahlbare, sind rar in Berlin.
Ansonsten ist das Projekt in einem Stadium, dass sie sich den Luxusproblemen zuwenden können. Zum Beispiel der Option eines Pizzaofens, den ein Koch aus ihrem Kollektiv gern hätte. Ein leichterer Anker wäre auch toll, damit die Frauen sich keinen Bruch heben. Und erst ein Elektromotor, der allerdings mehr Saft bräuchte als das Solarpaneel liefert. Der tuckernde Außenborder war ein Zugeständnis an die Realität – ein doppeltes sogar, weil sie ihn nach Warnungen vor dem Risiko gebrauchter Motoren neu gekauft haben.
Bleibt die Frage nach dem Namen. Nadja Berseck hat ihn als Rohling aus dem Gespräch mit einer Professorin aus der Uni mitgebracht: „Pantha Rei“. Alles fließt. Heraklit. Griechischer Philosoph, Inspiration vieler Hobbykapitäne. Zu vieler, fanden sie im Kollektiv. Also haben sie die Sache um und um gewendet, bis das denglische „Panther Ray“ herauskam. Die passende Galionsfigur hat ihnen eine befreundete Künstlerin gebaut. Ein Panther aus Holzleisten. Sehr cool auch der.
Vivien Barnier und die Bootschaft bringen Kino aufs Wasser
Auf einer Wiese am Landwehrkanal sitzen gut 200 Menschen und blicken auf eine Leinwand. Vivien Barnier, 26, ist gleichzeitig Zuschauer und Organisator, denn die Leinwand befindet sich auf der Wackelberry, einem Boot, das er mit einem Kollektiv von etwa 15 Leuten gebaut hat: der Bootschaft. Der heutige Abend nennt sich Floßkino. Gezeigt werden Kurzfilme befreundeter Künstler und einer Dokumentarfilmerin, die einen Film über indigene Völker am Amazonas zeigt. Zuvor hat ein Musiker gespielt, und es gab Kartoffelsuppe, ebenso kostenfrei wie der gesamte Abend. Auf Profit, das wird deutlich, ist die Bootschaft nicht aus.
Auf Profit ist die Bootschaft nicht aus
Die Wackelberry ist ein Katamaran, im Frühjahr 2011 aus Kunststoffschwimmkörpern und Holz erbaut. Die Bootschaft ist eine heterogene Truppe, in der sich Künstler ebenso wie Ingenieure zusammengefunden haben. Sie haben den Anspruch, dass das Boot kein reines Freizeitvergnügen sein, sondern politisch-künstlerischen Zwecken dienen soll. Sie begleiten Demonstrationen oder organisieren Workshops zu ökologischen Themen genauso wie Lesungen, etwa der Asyl-Monologe. Auf die Frage, ob die Wackelberry schon mit der Wasserschutzpolizei in Kontakt kam, muss Barnier lachen. „Am Anfang haben sie uns jedes Mal kontrolliert. Doch ich muss auch sagen: Sie waren immer erstaunlich kulant.“ Fliehen könnten die Aktivisten sowieso nicht: die Wackelberry erreicht kaum mehr als 3,5 Stundenkilometer.
Die Bootschaftler werden oft gefragt, ob sie beim Floßbau beraten könnten. Sie helfen gerne, wobei ihnen der ökologische Aspekt wichtig ist, Barnier beschäftigt sich im Studium mit regenerativen Energiesystemen. Den Strom für das Floßkino liefert ein selbst gebauter Solarzellenwagen. Jannis von Oy