Ein Raubtier, das Müll und Unrat frisst: Mit dem Katamaran „Panther Ray“ säubert eine Initiative die Berliner Gewässer. Von Stefan Jacobs

Voller Euphorie. „Wir wollten die Gewässer nicht nur der Industrie und den Dampfern überlassen“, sagt Nadja Berseck.
Foto: Georg Moritz

Schwer zu sagen, welcher Platz der coolste ist: Der original Reitsattel für den Kapitän auf dem Oberdeck? Oder daneben der Altreifensessel? Oder doch der an Ketten aufgehängte Einkaufswagenkorb am Bug, dessen Drahtgitter seitlich als Armlehnen herausgebogen sind? Der Platz achtern am Grill ist auch nicht übel. Sieht jedenfalls alles sehr nach einem wahr gewordenen Traum aus.

Das ist die „Panther Ray“ auch, die Anfang 2015 als Vision von acht Leuten um die dreißig entstanden ist. Sie kannten sich aus dem Studium und hatten die Idee, ein Floß zu bauen, das nicht nur ihnen etwas nützt, sondern auch der Allgemeinheit. Nachhaltig sollte es sein und möglichst öffentlich. „Wir wollten die Berliner Gewässer nicht nur der Industrie und den Ausflugsdampfern überlassen“, erzählt Nadja Berseck, die von Anfang an dabei war. Sie hatten mehr psychologischen als handwerklichen Sachverstand in der Runde, aber das war wider Erwarten kein Nachteil.

Denn statt endloser Debatten hatten sie bald ein strukturiertes Konzept: Finanzierung per Crowdfunding über Startnext, Materialgewinnung mithilfe von Alba und Ebay-Kleinanzeigen, Montageplatz bei einem Bootsbauer in Oberschöneweide, der auch mal einen Blick auf die Schwimmkörper werfen konnte, damit das Projekt nicht baden geht. Was im Februar noch durch die Köpfe geisterte, schwamm im Juli 2015 bereits auf der Spree. Eine schwimmende Holzhütte mit Terrasse ohne Reling, mit überdachter Sitzecke, Küchenzeile und vertikalem Gärtchen steuerbord und eben dem Kapitänssessel samt Fernsteuerung für den Außenbordmotor auf dem Dach. Davor ein Solarpaneel, auf dem man auch sitzen kann. Und achtern, gegenüber dem Grill, steht ein Klohäuschen mit echter Herzchentür und einer ökologisch korrekten Komposttoilette. Die Seile, mit denen das Floß vertäut ist, haben ihr früheres Leben in einem Kletterpark verbracht.

Mehrmals in der Woche sind sie unterwegs

Aus Fischperspektive ist die „Panther Ray“ ein Katamaran, zwischen dessen beiden Kufen die Besatzung unterwegs ein am Bug angebrachtes Drahtgitter herunterklappt, das Unrat von der Wasseroberfläche fängt. Flaschen, Tüten, Äste; einmal auch eine tote Ratte. Außerdem haben sie Kescher an Bord, mit denen sie Dreck vom Rand einsammeln können, wenn ihnen danach ist oder Aktionstage wie die „Gemeinsame Sache“ anstehen. Am 10. September werden sie gemeinsam mit vielen anderen Initiativen in Berlin dafür sorgen, dass die Stadt sauberer und schöner wird.

Am Wochenende davor sind sie bereits mit Tauchern vom Naturschutzbund Nabu verabredet, um Müll vom Grund des Urbanhafens zu bergen, den sie dann entsorgen. Bei anderen Gelegenheiten fahren sie mit Flüchtlingskindern und anderen Menschen, die es aus ihrer Sicht verdient haben. Einfach so, aus dem Bedürfnis heraus, der Stadt etwas zu geben, die ihnen selbst viel gibt. Schöner ist das Angenehme wohl selten mit dem Nützlichen verbunden worden.

Mehrmals in der Woche sind sie unterwegs. Mal tuckern sie abends los von ihrem Liegeplatz an der Halbinsel Stralau, wo sie zwischen anderen Eigenbauten am Rummelsburger See festgemacht sind. Dann gibt’s eine Runde Yoga auf der Bucht. Oder es geht Richtung Innenstadt, wo allerdings Spree und Landwehrkanal nur eingeschränkt befahren werden dürfen. Also fahren sie gern in die andere Richtung, am Plänterwald vorbei – und im August zum ersten Mal zum Müggelsee mit Übernachtung an Bord. Endlich haben sie Zeit dafür. Im vergangenen Sommer hatten sie vor allem die Dankeschöns für ihre mehr als 300 Crowdfunding-Unterstützer abzufahren, die ihnen 11 000 Euro und einigen Sachverstand verschafft haben und beispielsweise mit abendlichen Rundfahrten inklusive Sekt belohnt wurden. Hin und wieder lassen sie sich auch für Events buchen, um die laufenden Kosten hereinzubekommen. Sie entscheiden das im Einzelfall; zielorientierte Diskussionen sind sie ja gewohnt.

Bleibt die Frage nach dem Namen

In Nadja Bersecks Augen leuchtet noch die Euphorie des Aufbruchs, wenn sie davon erzählt, während hinter ihr die Abendsonne die Rummelsburger Bucht in warmes Licht taucht. Sie muss lachen, wenn sie an die skeptischen Blicke der Wohneigentümer aus dem gehobenen Segment denkt: So viele junge Leute mit diesem leicht anarchistischen Gefährt – hoffentlich machen die keinen Müll, so ungefähr. Dabei ist ja das Gegenteil der Fall. Inzwischen ist ihre größte Sorge, dass der Vermieter ihres Liegeplatzes die Genehmigungen für seinen lang gehegten Traum von „Floating Homes“ zusammenbekommt und sie vertrieben werden. Denn dauerhafte Ankerplätze, zumal bezahlbare, sind rar in Berlin.

Ansonsten ist das Projekt in einem Stadium, dass sie sich den Luxusproblemen zuwenden können. Zum Beispiel der Option eines Pizzaofens, den ein Koch aus ihrem Kollektiv gern hätte. Ein leichterer Anker wäre auch toll, damit die Frauen sich keinen Bruch heben. Und erst ein Elektromotor, der allerdings mehr Saft bräuchte als das Solarpaneel liefert. Der tuckernde Außenborder war ein Zugeständnis an die Realität – ein doppeltes sogar, weil sie ihn nach Warnungen vor dem Risiko gebrauchter Motoren neu gekauft haben.

Bleibt die Frage nach dem Namen. Nadja Berseck hat ihn als Rohling aus dem Gespräch mit einer Professorin aus der Uni mitgebracht: „Pantha Rei“. Alles fließt. Heraklit. Griechischer Philosoph, Inspiration vieler Hobbykapitäne. Zu vieler, fanden sie im Kollektiv. Also haben sie die Sache um und um gewendet, bis das denglische „Panther Ray“ herauskam. Die passende Galionsfigur hat ihnen eine befreundete Künstlerin gebaut. Ein Panther aus Holzleisten. Sehr cool auch der.

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